BDR-Gutachten wird in Alimentationsverfahren vorm Verwaltungsgericht Hamburg eingeführt.
Am 17.10.2024 fand am Verwaltungsgericht Hamburg die mündliche Verhandlung zu vier Musterklagen hinsichtlich der Alimentation des Besoldungsjahres 2022 statt. Insbesondere relevant in diesem Zusammenhang war das sog. Hamburgische Besoldungsstrukturgesetz, welches den Beamten unter Umständen jedenfalls ab Dezember 2022 rückwirkend einen partnereinkommensabhängigen Besoldungsergänzungszuschuss (BEZ) gewährt.
Das Gericht hatte die nachfolgend genannten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, wobei zwei der Kläger vom DGB-Rechtschutz und zwei der Kläger durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Struck vertreten wurden:
- A 10, verh. 2 Kinder, Ablehnung BEZ wg. Partnereinkommen
- A 8 bzw. wegen unterjähriger Beförderung A 9, verh. 2 Kinder, tlw. Bewilligung Beihilfeergänzungszuschuss
- A 9, ledig, kinderlos
- A 13, verh. 2 Kinder, kein BEZ wg. Besoldungsgruppe und Partnereinkommen
Neben den Vertretern der Freien und Hansestadt Hamburg und den Klägern waren auch Vertreter unterschiedlicher Interessensvertretungen, wie dem Deutschen Beamtenbund (dbb), der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und dem Bund Deutscher Rechtspfleger (BDR) anwesend und haben die Verhandlung verfolgt. Auch überregionales Interesse an dem Verfahren konnte festgestellt werden, da neben den Landesvorsitzenden des BDR Hamburg, Sören Georg Sauer, auch der stellvertretende Landesvorsitzendes des BDR Schleswig-Holstein, Tobias Schmiedeberg, der Verhandlung beiwohnte.
Erheblichster Streitpunkt zwischen den Beteiligten bei der Verhandlung war die Auswirkung des Besoldungsstrukturgesetzes für das Besoldungsjahr 2022 und die damit einhergehende Abkehr von der Alleinverdiener-Familie sowie der durch das Gesetz eingeführte Besoldungsergänzungszuschlag. Neben der Darstellung der Ermessensausübungen des Landesbesoldungsgesetzgebers, welches die Kammer 21 unter Vorsitz des Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Sören Delfs, en Detail überprüfte, wurde gleichermaßen intensiv die Prüfung der durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze, die an eine amtsangemessene Besoldung zu knüpfen sind, erörtert. Dabei konnte auf Seite der klagenden Beamten die gutachterliche Stellungnahme des BDR Hamburg vom 12.10.2023, erstellt durch Dr. Torsten Schwan, in die mündliche Verhandlung eingebracht werden. Dr. Schwans Expertise konnten Mitglieder des BDR Hamburg zuletzt am ersten Hanseatischen Rechtspflegertag am 30.05.2024 erleben.
Vor Erlass des Besoldungsstrukturgesetzes hatte der BDR Hamburg die gutachterliche Stellungahme nebst der Kritik an dem begutachteten Gesetz dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg – Personalamt – übermittelt. Bereits zu diesem Zeitpunkt war u. a. zu kritisieren, dass das Besoldungsstrukturgesetz, neben der streitigen Höhe der Besoldungen als solche, insbesondere erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken u. a. aus Art. 3 GG sowie Art. 33 Abs. 5 GG begegnet. Die gutachterliche Stellungnahme finden Sie hier:
https://bdr-hamburg.de/?p=1146
In der Sache hatte die Kammer u. a. die nachfolgend dargestellten Parameter geprüft:
Bei der Prüfung der ersten drei volkswirtschaftlichen Parameter (Tarifentwicklung des öffentlichen Dienstes, Nominallohnindex und Verbraucherpreisindex), welche das Bundesverfassungsgericht als Prüfkriterien mit aufgestellt hatte, gab es wenig Überraschendes. Die Kammer 21 des Verwaltungsgerichts Hamburg hat hier ausdrücklich betont, wie relevant und notwendig die Staffelprüfungen seien, um statistische Ausreißer (wie die Streichung des Weihnachtsgeldes) erkennen zu können. Beklagtenseitig wurde dabei die Auffassung vertreten, dass der Nominallohnindex nicht zu akzeptieren sei, da dieser in Hamburg durch landesspezifische Sondereffekte wie Tantiemen und Sonderzahlungen verzerrt sei. Dieser Auffassung schien sich das Verwaltungsgericht nicht anzuschließen und hat Berechnungen (ohne Berücksichtigung der Corona-Sonderprämie und der Angleichungszulage) erstellt. Die beiden vorgenannten Zahlungsinhalte wurden deshalb nicht mit eingerechnet, obwohl diese in 2022 gezahlt wurden, da diese für 2021 gezahlt worden sind.
Das Gericht stellte seine bereits vorgenommenen Berechnungen vor, welche für A 8 bis 10 in den Abweichungen wie folgt aussahen:
Tarif | 4,28 % | Staffelprüfung | 5,77 % |
Nominallohnindex | 11,42 % | Staffelprüfung | 12,57 % |
Verbraucherpreise | ca. 0% | Staffelprüfung | ca. 0% |
Für A 13 wurden gesonderte Berechnungen angestellt:
Tarif | 5,1 % | Staffelprüfung | 6,58 % |
Nominallohnindex | 12,28 % | Staffelprüfung | 13,42 % |
Verbraucherpreise | ca. 0% | Staffelprüfung | ca. 0% |
Gut ersichtlich ist, dass insbesondere der Nominallohnindex sich deutlich positiver entwickelte als die Besoldung. An dieser Stelle ist anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht als Indiz der Verfassungswidrigkeit eine Abweichung von mehr als 5% annimmt.
Bei der Prüfung des vierten Parameters ((Mindest-)Abstandsgebot) sah das Verwaltungsgericht ein Verstoß indiziert. En Detail sah es etwaige Verstöße gegen Art. 33 Abs. 2 (Leistungsprinzip) und Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (Verstoß des Besoldungsergänzungszuschlag gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot). Im Ergebnis stellte das Verwaltungsgericht Hamburg im Rahmen der Aufarbeitung der Sachlage (unter Berücksichtigung des Besoldungsergänzungszuschlags) dar, dass die Gesamtbesoldung in A 6, A 7 und A 8 jeweils in der Erfahrungsstufe 3 faktisch identisch sei und A 7 sogar 0,01 % mehr erhielt als A 8.
Aus Sicht der Freien und Hansestadt Hamburg jedoch sei der Besoldungsergänzungszuschlag nicht zu berücksichtigen, da es sich aus der dortig vertretenen Auffassung um keinen allgemeine Alimentation für alle Beamten handele, sondern allein eine aus dem Fürsorgegedanken kommende Anpassung der unteren Ämterbesoldungen. Dies resultiere auch daraus, dass Beamten ergänzende Leistungen der Grundsicherung verwehrt seien und der Besoldungsergänzungszuschlag keinen Bezug zur Leistung habe, sondern eine eigenständige Alimentationsgruppe darstelle. Unter Bezugnahme auf das vorgenannte Gutachten, welches sich die Kläger zu Eigen machten, wurde dieser Auffassung durch die Kläger entgegengetreten.
Bei der konkreten Prüfung des Mindestabstandsgebotes zur sozialen Grundsicherung (115%-Regel) legte die Kammer ihre Berechnungen offen und machte deutlich, dass sie an der Berechnungsweise des Bundesverfassungsgerichts (insbesondere zur 95%-Perzentil der Wohnraum-Kaltmiete zzgl. 95%-Perzentil der Betriebskosten zzgl. Heizkosten gem. Heizkostenspiegel) festhalten werde.
Die 21. Kammer führt weiter zur Berücksichtigung des Besoldungsergänzungszuschlags bei der Bemessung der Bruttoalimentation aus. Es habe sich intensiv mit der Rechtsprechung zur Anrechnung weiterer Einkünfte auf Alimentationsleistungen beschäftigt und sieht es weiterhin als gegeben an, dass sich der Besoldungsgesetzgeber nicht auf Zahlungen Dritter an den Beamten zurückziehen dürfe. Die Kammer wich jedoch von den bisherigen Annahmen des Bundesverfassungsgerichts, die vierköpfige Alleinverdienerfamilie als Regelfall zu nehmen und als einzige Ausnahme kinderreiche Familien anzuerkennen, ab. Vielmehr könnte der Gesetzgeber die Zweiverdienerfamilie als Regelfall definieren, müsste dann jedoch für den Ausnahmefall der Alleinverdienerfamilie Regelungen treffen.
Mit den nach mehrstündiger Verhandlung ergangenen Entscheidungen, namentlich Vorlagebeschlüsse an das Bundesverfassungsgericht, nahm das Verwaltungsgericht Hamburg die Besoldung in drei der vier Musterverfahren als verfassungswidrig niedrig an. Insbesondere stellte das Verwaltungsgericht Hamburg in einem Teil der Verfahren fest, dass – trotz Leistung von Besoldungsergänzungen – die Besoldung verfassungswidrig sei, da nicht einmal der notwendige Abstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten wurde. In einem Verfahren stellte das Verwaltungsgericht Hamburg darüber hinaus fest, dass Verfassungswidrigkeit auch deshalb anzunehmen sei, da das Abstandsgebot zwischen den Ämtern nicht eingehalten wurde. Die Verfahren werden nunmehr dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Entscheidung vorgelegt. Die Vorlagebeschlüsse sind noch nicht veröffentlich und es gilt diese abzuwarten. Hier finden Sie bereits die dazugehörige Pressemitteilung:
Nicht nur für die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger ist eine verfassungswidrige Besoldung ein nicht hinnehmbarer Zustand, welche – insbesondere bei der dem Rechtspfleger immanente Weisungsfreiheit – auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit als zweifelhaft andeutet. Da das Grundgesetz dem Besoldungsgesetzgeber ein erheblicher Ermessensspielraum zugesteht, sind verfassungswidrige Besoldungen nicht nur niedrig im Vergleich zu den Einkünften in der Durchschnittsgesellschaft, sondern sogar evident verfassungswidrig und nicht geeignet, den Beamtinnen und Beamten ohne wirtschaftliche Zwänge und folglich auch Angreifbarkeiten ihren Dienst tun zu lassen.
Dass die negative Werbung, welche die Freie und Hansestadt Hamburg für sich bei Nachwuchskräften damit macht, immens ist, muss als durch den Senat billigend in Kauf genommen angesehen werden. Dabei muss sich vergegenwärtigt werden, dass das Verwaltungsgericht Hamburg nicht die Angemessenheit oder gar Richtigkeit der Besoldung dem Grunde und der Höhe nachprüfte, sondern prüft, ob hier eine verfassungswidrig niedrige Besoldungshöhe anzunehmen ist.
Es scheint so, als würde sich der Senat weigern, die Entlohnung von Beschäftigten als attraktivitätssteigerndes Momentum als Arbeitgeber bzw. Dienstherrn zu verstehen. In Zeiten, in welchen die Bewerberzahlen, beispielsweise auch im Rechtspflegedienst, erschreckend gering ist, scheint es so, als würde es den Senat überraschen, dass eine gute Bezahlung bei der Berufswahl junger Menschen ein durch diese beachtetes Kriterium ist. Eine funktionierende Verwaltung und Rechtsprechung benötigen stets gut ausgebildete und begeisterte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – darauf haben Bürgerinnen und Bürger und gleichermaßen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst einen Anspruch. Der funktionierende Rechtsstaat und eine gut funktionierende öffentliche Verwaltung müssen auf dem Arbeitsmarkt gleichermaßen erfolgreich sein wie ein Anspruch, den Bürgerinnen und Bürger haben und an den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg stellen dürfen.
Der Vorstand des BDR Hamburg